Vita Stefan Krauth

1978 geboren in Karlsruhe
1999 Abitur
2004-2010 Studium an der Hochschule für Bildende Künste Dresden
2010-2012 Meisterschüler an der HfBK Dresden bei Prof. Ralf Kerbach

 

Preise/ Stipendien

2008 Erasmus-Stipendium an der Universidad do Porto, Portugal

2011 Hegenbarth-Stipendium der Stiftung Kunst und Kultur der Ostsächsischen Sparkasse

2012 Stipendium Handpressedrucke Dresden 2012

2014 Atelierstipendium in Hamburg der Landeshauptstadt Dresden

2016 Arbeitsstipendium des Kulturamtes Dresden

2017  2.Preis Portraits Hellerau

2020 Arbeitstipendium der Landeshauptstadt Dresden

2021 Arbeitststipendium der Kulturstiftung des Freistaates Sachsen

2022 Arbeitsstipendium für digitale Vermittlungsformate vom Deutschen Künstlerbund

 

Ausstellungen (Auswahl)

2022

Skykissing, Goldenen Pforte, Dresden (solo)

Don’t know why, Kunstraum Orloff, Leipzig

2021

Northern Lights, Kunsthalle Trier (Katalog)

Land before time, Kunstraum Orloff, Leipzig (solo mit Tony Franz)

Kalt, Fotoforum Dresden (solo mit Thomas Judisch)

2020

Dirty Little Pieces, Neue Deutsche Filmgesellschaft, Berlin

Me, myself and I, Kunsthalle Trier

2019

Watchlist II, Galerie Evelyn Drewes, Hamburg (solo)

Unknown, Galerie Stephanie Kelly, Dresden (Solo/Katalog)

Dirty Little Pisses, The Wall, Dresden

Art For Humanism, Kunsthalle im Lipsiusbau, Dresden

Dozentenausstellung, Motorenhalle Dresden

2018

Dusty Desire, Städtische Galerie Dresden (solo)

Existenz, Skizzen, Oktogon , HfBK Dresden

2017

Portraits Hellerau – Change. Europäisches Zentrum der Künste Hellerau, Dresden (Katalog).

Change, Satelitenausstellung zu Portraits Hellerau, Oberüber Karger, Dresden (solo)

Tropical Healing, Galerie Vriend van Bavink, Amsterdam, Netherlands

Ich bin nicht meine Zielgruppe, Kunsthaus Dresden (Katalog)

2016

Try walking in my shoes, mit Andrey Klassen, maerzgalerie, berlin (solo)

My Heart’s in the Highlands, Galerie für junge zeitgenössische Kunst, Chemnitz

CAPTURE, Kunztraum, Dresden (solo)

Feed Back, Künstlerhaus Frise, Hamburg

2014

DADA TY, Europäisches Zentrum der Künste Hellerau

Kunstlotterie, Galerie m2a, Dresden

L.O.S.T., galerie baer, Dresden (solo)

Building Building, das Spectrum, Utrecht, Niederlande (Katalog)

Minimal Art Gallery, galerie baer, Dresden

2013

Hype, geh 8 Kunstraum, Dresden

GorbatSHOW, galerie baer, Dresden

Unmittelbarkeit, Atelierhof Kreuzberg, Berlin

galerie baer allstar cast, galerie baer, Dresden

2012

Undercover IV, galerie baer, Dresden

VoltaNY, New York (solo/Katalog)

Hegenbarth-Stipendiaten, Städtische Galerie, Dresden (solo)

Handpressedrucke Dresden 2012, galerie baer, Dresden

Keine Bilder ohne Liebe, Galerie Poll, Berlin (Katalog)

2011

Holy Things Holy Places, Heizkraftwerk Mitte, Dresden (Katalog)

Scheinbar sein. Faktisches und Virtuelles. Altana- Galerie, Dresden (Katalog)

Schools of Art, Alte Tabakfabrik, Linz, Österreich

2010

Linda Sullivans Reise, galerie baer, Dresden (solo)

Le Pointe de Fuite, Lindenow, Leipzig

Frühjahrssalon 2010, Galerie zanderkasten, Dresden

2009

Haut, Galerie der HfBK Dresden (Katalog)

Frühjahrssalon 2009, Galerie zanderkasten, Dresden

Bibliografie

-Verlag der Kunstagentur Dresden (Hrsg.), Terra Incognita, 2019, ISBN: 978-3-9817866-6-8

– Verlag der Kunstagentur Dresden (Hrsg.) Portraits Hellerau, Change, 2017. ISBN: 978-3-9817866-2-0

– Ich bin nicht meine Zielgruppe. Sammlung Stefan Heinemann, 2017. ISBN: 978-3960981336

– KUNSTFORUM international, Bd. 215, April-Juni 2012, S.356-357

– Hochschule für Bildende Künste dresden (Hrsg.): HAUT; Ausstellungskatalog; 2009; ISBN 978-3-940418-31-9

– galerie baer – raum für aktuelle kunst (Hrsg.): Stefan Krauth; 2012

– Dipl.-Ing. Grit Koalick, Jana Böttrich der TU Dresden (Hrsg.): SCHEINBAR SEIN. FAKTISCHES UND VIRTUELLES
Ausstellungskatalog, 2011; S. 20ff; ISBN 978-3-86780-238-3

– Anke Binnewerg und Johannes Schmidt (Hrsg.): holy things holy places;
Ausstellungskatalog, 2011; S. 34f; ISBN 978-3-00-034584-5

– Galerie Poll, Berlin (Hrsg.), Keine Bilder ohne Liebe, 2012, Katalog

– KunstBilanz 1990-2013, Ostsächsische Sparkasse Dresden (Hrsg.), S.94/95

 

Texte

DER VERKLÄRTE BLICK DES ABENTEURERS BEI SEINEN ERKUNDUNGSFAHRTEN IN DIE IHM WOHLBEKANNTEN REGIONEN SEINER FOTOGRAFISCHEN WELTEN ODER STEFAN KRAUTH ZÜNDET SICH EINE ZIGARETTE AN

Die Frage, wo in einer Welt, in der alle Kontinente entdeckt und jeder Weltteil nahezu mühelos mit modernen Verkehrsmitteln zu erreichen ist, noch Abenteuer zu finden sind, gehört zu jenen hoffentlich unlösbaren Problemen, die irgendwo aufblühen zwischen der grundsätzlichen Sehnsucht nach dem Unbekannten und einer Müdigkeit angesichts der alltäglichen Verfügbarkeit selbst der künstlichsten Phantasien. Sie sorgt dafür, dass immer wieder neue Geschichten erzählt werden und dass das Verlangen nach Bildern fremder Welten lebendig bleibt. Schon immer fand der Forscherdrang seinen Ausdruck in Bildern, die den Daheimgebliebenen einen Eindruck vermitteln sollten, vom Unvorstellbaren. Und schon immer gehörte dazu auch eine Formder bildlichen Übersteigerung. Den Künstlern, die diese Bilder lieferten, haben die exotischen Wesen, Landschaften und Kulturen, denen sie begegneten und deren Schilderungen sie in den Texten derWeltreisenden vorfanden, nicht gereicht. Sie haben sie umgeformt, das Unbekanntemit demUnglaublichen vermählt und so eine FormderWahrscheinlichkeit des Abenteuerlichen aus dem Unwahrscheinlichen konstruiert. ImHolzschnitt reproduzierte Monster, Seeungeheuer und hybride Fabelwesen bevölkern die Reiseberichte zu Beginn der Neuzeit. ImAbenteuer lässt sich erleben, was wir ersehnen: ein Leben, das grundsätzlich anders ist. Nur wenn wir es gleichzeitig bezweifeln und glauben wollen, eignet es sich wirklich, um uns auf die gefahrenvollen Pfade des Unbekannten zu begeben. Der Abenteurer weiß, dass sich das wirkliche Abenteuer nur dann erleben lässt, wenn er dafür entsprechend ausgerüstet ist.

Ein solcher Abenteurer ist Stefan Krauth, der in seinen Bildern Reisen unternimmt, an Orte, die durch seinen Blick fremdartig entrückt erscheinen und damit in gewisser Weise oft auch ein Klischee des Exotischen bedienen, das wiederum– gerade weil es durch seine häufige Wiederholung in den Massenmedien abgenutzt erscheint – als Auslöser und Projektionsfläche wahrer Empfindungen dienen kann. Krauth zitiert diese künstlichen Sehnsuchtswelten, die durch kommerzielle Absichten und hohle Zuspitzungen korrumpiert sind. Es sind Fotografien, die das Fotografieren reflektieren. Ihre technischen Mittel haben eine doppelte Funktion, sie sind Medien der Illusion und kritisieren sich, noch während sie sich über die erreichte Täuschung freuen, selbst. Vielleicht eignen sie sich gerade deswegen so gut zur Navigation. Aber es sind die Verschiebungen in den Koordinaten, für die sich Krauth entscheidet, die ihn über die Grenzen der bekannten Welt hinausführen. Das Abenteuer liegt ganz dicht neben dem scheinbar Vertrauten, es bedarf nur einer Verschiebung des Blicks. Stefan Krauth fotografiert Fotografien, und zum Teil bestehen diese Fotografien aus mehreren Fotografien, die miteinander verbunden werden: eine Landschaft bekommt einen neuen Himmel, eine Figur wird in eine ihr fremde Umgebung versetzt. Manchmal erscheinen Bilder in Bildern, die auf die Funktion von Bildern als Träger von Sehnsüchten verweisen, so beispielsweise Werbeflächen oder ein Bild an der Wand eines Zimmers. Immer wieder nehmen Fensterdurch- und Landschaftsausblicke die Funktion von Bildern im Bild ein (S. 71). Entscheidend für seine Arbeitsweise ist eine gewisse Unschärfe, die er durch verschiedene Mittel erreicht. Sie ergibt sich zum einen dadurch, dass die Fotos von einem Bildschirm abfotografiert werden.  Auf diese Weise wird das Raster sichtbar, das aus einzelnen Segmenten besteht, die das Bild in seiner Gesamtheit erzeugen. Teilweise kannman auf Krauths Bildern auch erkennen, dass der Bildschirmleicht verstaubt oder auf der Oberfläche verkratzt ist. Daswird besonders dann deutlich,wenn es Lichtreflexe gibt. Was zum Ärgernis eines jeden Fotografen gehört, dass eine Spiegelung vorhandene Bereiche eines Motivs überdeckt, setzt Krauth gezielt erzählerisch ein. Der Lichtschein wird zur strahlenden Sonne, die so vorher nicht vorhanden war, oder er legt sich wie eine mystische Aura über bestimmte Bildbereiche, die damit betontwerden. Zudemkommen hin undwieder Rauchschleier vor, die sich wie Nebelschwaden beispielsweise über einen Baum mit bedrohlich schwarzen Vögeln legen (S. 89).Was eigentlich ein Ärgernis ist, Kratzer auf demBildschirm, oder ein banaler Kollateralschaden, Zigarettenrauch vor dem Bild, wird zum kunstvollen Effekt, der aber durchaus seine schlichte Herkunft nicht verleugnen will. Das Alltägliche wird zum Mittel der Verzauberung. Die Unschärfe ist Stimmungsträger und ein Mittel der Distanzierung zugleich. Sie schafft eine nostalgische Anmutung, die an verblasste historische Aufnahmen gemahnt, aus einer Zeit, da die technischen fotografischen Möglichkeiten noch nicht so präzise waren. Verbunden mit digitaler Display- Technologie, weist sie darüber hinaus, wenn sie diese als bereits beschädigt zeigt. Lichtreflexe und Rauch steigern gleichermaßen die Helligkeit im Bild, es erscheint so wie verblasst. Zudem werden durch die Aufhellung die Farben betont, die so eine malerische Funktion bekommen. Krauth komponiert seine Arbeiten unter Berücksichtigung von Farbabstufungen und Kontrasten, aber auch oft, indem er einzelne Farben zentral in Szene setzt und sie zu Protagonisten der Komposition macht. In einigen Arbeiten steigern sie sich und beginnen zu leuchten. In ihrer Intensität fordern sie eine Aufmerksamkeitwie die inszenierten Traumwelten derWerbung und der Unterhaltung mit ihren vorfabrizierten Abenteuern. Durch Krauths spezifische Bearbeitung ziehen sich die einzelnen Farbtöne jedoch zu einemGesamtbild zusammen, in demeine kühle Grundstimmung dominiert. Sie resultiert aus demfotografischen Prozess und sorgt wie dieser für Distanz. Das ist ein gewollter Abstand, der sowohl eine Sehnsucht auslöst, ihn zu überwinden, und zugleich als Verweis auf den medialen Entstehungsprozess der Arbeiten verstanden werden kann. Zur erzählerischen Grundhaltung im Werk von Stefan Krauth gehört auch die Gruppierung seiner Arbeiten in Serien. Bei Ausstellungen ist die Hängung der einzelnen Fotografien räumlich so strukturiert, dass sich in Paarungen und Reihungen Wechselbeziehungen von Farben über die Grenzen einzelner Fotografien hinweg ergeben. Die Arbeiten kommentieren sich aber auch inhaltlich. Es entstehen Blickbeziehungen,wie zwischen »Maler in Betrachtung von Bildern« (S. 60/61) und »Der Ozean« (S. 62/63). Nahezu filmisch ergibt sich eine Art zeitliche Folge. Es ist fast so, als würde auf die Einstellung mit der Illustrierten auf dem Schoß ihres Betrachters nach einem Schnitt eine Großaufnahme folgen, die eine der Illustrationen aus demMagazin einzeln zeigt. Dieser Sprung und die darin enthaltene Gleichsetzung, die zugleich auch eine Abgrenzung ist, steht für die ironischen Strategien bei Krauth. Dafür sei hier noch ein weiteres Beispiel erwähnt: Das Bild im Bild aus »Tuscany« (S. 35), ein ›dekorativer‹ Druck einer aquarellierten Mittelmeerlandschaft, wird strukturell verglichen mit dem in der Ausstellung daneben platzierten Bild eines Dreimasters, »O.T. (Schiff)« (S. 36), über den Krauth die für ihn typischen ›Alterungsspuren‹ gelegt hat. Darin steckt die Ironie, die sich dessen bewusst ist, dass diese ›romantischen‹ Motive Ausdruck einer Kultur sind, die in ihrer Wiederholung leer geworden sind, aber dennoch Gefühle auslösen, weil sie dafür hergestellt wurden. Ein solches Nebeneinander von Sehnsuchtsmotiven in den populären Medien und in der eigenen Kunst, die Krauth hier inszeniert, schließt eine moralische Bewertung aus. Sie bewundert vielmehr die Qualitäten in den kommerziellen Bildmedien, weiß um ihre Herkunft aus der Kunstgeschichte, und nutzt sie um sie in eigenen Werken zu transformieren. In diesem Prozess ist Bildgeschichte aufgehoben. Sie ermöglicht zwei Zugangsweisen, die eine, die sich ganz empathisch den gefühlvollen Verlockungen ergibt, und die andere, die diese als überkommenen Topos kritisch reflektiert. Krauth gelingt es, diese beiden Haltungen miteinander zu verbinden, ohne dass eine bevorzugt würde. Ein vergleichbares Paradox herrscht auch in der Herkunft der Motive, die Stefan Krauth für seine Arbeiten fotografiert. Er findet sie zum Teil in seinem unmittelbaren Umfeld, aber auch auf Reisen. Dabei sind sie ursprünglich relativ unscheinbar, erst durch die Bearbeitung bekommen sie ihre erzählerische Kraft. Krauth fotografiert alle diese Motive selbst. Wenn manchmal der Eindruck entsteht, es handle sich umgefundenes Material aus demgroßen Stromder überall verfügbaren Bilder, dann liegt das daran, dass der Künstler gezielt diese Nähe zum Vorgefundenen in seiner eigenen fotografischen Sicht sucht und ihn zudemin derMontagemit anderen Motiven zu intensivieren sucht. So entstehen Landschaften, die oft eine Dimension derWeite und einer Leere haben, die wie eine Aufforderung erscheint, sie zu erkunden und sich auf den Weg zu machen. Gebäude, Bäume oder Figuren, die darin auftauchen, bekommen durch den sie umgebenden Freiraumeine abenteuerliche und geheimnisvolleWirkung. Sie erwecken Neugier nach den Geschichten, die sie erzählen können. Neben solche offenen, das Format sprengenden Landschaften positioniert Krauth immer wieder auch Bilder, die den Blick nahe an Gegenstände heranführen und ihn zum Teil sogar nur angeschnitten wiedergeben. Das entspricht einer Strategie filmischen Erzählens, die durch das Ausblenden des Umraumes eine Verunsicherung auslösen. Man fragt sich, was sich jenseits dessen, was zu sehen ist, tatsächlich ereignet. Zum anderen stellt sich die Frage, was gerade dieses Detail bildwürdig erscheinen ließ, und welche erzählerische Schlüsselrolle es einnimmt. Antworten dazu geben bei Krauth oft die Farben dieser Gegenstände, wie beispielsweise das Gelb einer Stuhlschale imVerhältnis zum Blau von Schuh und Hosenbein einer im Hintergrund angeschnitten erscheinenden Person, wiedergegeben mit der Unschärfe einer fliehenden Bewegung

(Dr. Holger Birkholz)

 

Rede zur Ausstellung des Hegenbarth-Preisträgers Stefan Krauth

Städtische Galerie Dresden,

Stefan Krauth zeigt in der hiesigen Ausstellung zehn neue fotografische Arbeiten. Sie entstanden im Anschluss an seine Reise nach Vietnam, die ein zentrales Vorhaben des Hegenbarth-Stipendiums war. Krauth arbeitet als bildender Künstler bereits seit seinem Studium an der HfBK Dresden bei Professor Ralf Kerbach mit Fotografie, er näherte sich ihr ausgehend von der Malerei über die Technik der Collage.

Das Medium Fotografie ist kunsthistorisch betrachtet noch relativ jung und zum Zeitpunkt seiner Entstehung und schnellen Ausbreitung Ende des 19.Jahrhunderts fühlten sich besonders die Maler von ihm herausgefordert, zugleich imitierten die Fotografen zunächst die Malerei. Es dauerte noch zwei weitere Jahrzehnte, bis die Fotografie von Pionieren wie Man Ray und Laszlo Moholy-Nagy in den 1920er Jahren zu dem künstlerischen Medium mit Zukunft erklärt wurde. Moholy-Nagy schrieb 1928:

„die grenzen der fotografie sind nicht abzusehen. hier ist alles noch so neu, daß selbst das suchen schon zu schöpferischen resultaten führt. die technik ist der selbstverständliche wegbereiter dazu. nicht der schrift-, sondern der fotografie-unkundige wird der analfabet der zukunft sein.“

(in: fotografie ist lichtgestaltung. Bauhaus, 1928, Nr.1, S2 ff.)

Sieht man die fotografischen Arbeiten von Stefan Krauth vor dem Hintergrund dieser Aufbruchstimmung, so könnte man meinen, der Optimismus jener Zeit ist bei ihm einer skeptischeren Grundhaltung gewichen, die sich auch in der äußeren ästhetischen Gestalt manifestiert. Krauths Bilder wirken auf den ersten Blick technisch merkwürdig unperfekt, sie weisen Anzeichen scheinbarer Alterung wie Ausbleichung oder Farbverzerrungen auf, wie sie bei falscher Lagerung entstehen können und von Fotografen ängstlich befürchtet werden. Schlieren oder unzählige weiße Punkte auf der Bildfläche, die auf eine nicht gesäuberte Vorlage für die Reproduktion hindeuten, lassen vermuten, dass es Stefan Krauth wohl genau um diese Spuren bei der Herstellung fotografischer Bilder geht.

Diese Abkehr von der gereinigten und farboptimierten fotografischen Oberfläche steht im offensichtlichen Gegensatz zum breiten Verständnis von Fotografie, das nach wie vor stark von Neuerungen im technischen Bereich bestimmt ist. Äußerste Schärfe, Detailgenauigkeit sollen das fotografische Abbild so nah wie möglich an den Gegenstand heranzuführen und die Präsenz des Dinghaften steigern. Mit Photoshop und anderen Programmen lassen sich heutzutage nahezu alle Bildwerte beeinflussen, aber auch die Motive verändern.

Stefan Krauth wählt einen anderen Weg. Er findet seine Motive auf Reisen und bricht auch da mit einer geläufigen Vorstellung: Nicht das bisher Unentdeckte und Unbekannte zieht ihn in die Ferne, in die Wüste von Nevada, an die Strände in Kalifornien, nach Irland, Costa Rica oder eben nach Vietnam, sondern er sucht Bilder, die wir bereits zu kennen glauben. Nicht, dass es nichts mehr zu entdecken und kennenzulernen gäbe, jedoch verlieren topographische Bestandsaufnahmen angesichts der Kartierung der Welt durch Google Earth und Google Street View schnell ihre Besonderheit und ihren Reiz. Stefan Krauth lässt sich auf die Realität der medial erzeugten Bilder in unseren Köpfen ein, wenn er losfährt, um – wie er sagt – „Klischees zu fotografieren“.

Klischees sind gemeinhin negativ konnotiert, es sind Bilder oder Ausdrucksweisen, die durch häufigen Gebrauch abgegriffen sind, die ohne eigenes Nachdenken einfach immer wieder übernommen werden. Darauf baut u.a. Werbung auf.

Aber diese durch Wiederholung schemenhaft gewordenen Bilder, die man gar nicht genauer betrachtet, weil sie etwas Bekanntes bestätigen, schaffen auch emotionale Vertrautheit. Welches sind die Motive, die Krauth auswählt? Es sind Ansichten des Meeres mit untergehender Sonne, Bergpanoramen, Palmen am Strand, einzelne exotische Tiere. Hineingestellt in diese Szenerien ist die menschliche Figur: als Wanderer oder klein auf einem Boot allein im Meer, auf dem Pferd in der Wüste oder auf einem schnittigen Motorrad. Diese Motivkette des Künstlers schafft sowohl einen technik- als auch einen kulturgeschichtlichen Spannungsbogen. Er umreißt die Entwicklung menschlicher Mobilität zu immer größerer Geschwindigkeit und verbindet sie gleichzeitig mit der Suggestion räumlicher Weite. Der Blick aus dem Flugzeug auf die Wolken markiert den Höhe- und Wendepunkt. Weite steht nicht mehr in Relation zum menschlichen Maß, sie erscheint als reines Naturbild von Wolken und Licht.

Die auf Reisen gefundenen Bildmotive unterzieht Stefan Krauth anschließend einem mehrstufigen experimentellem Prozess der Überarbeitung und Verfremdung. Dafür fotografiert er die Motive immer wieder vom Monitor ab und steigert die Bildwirkung mit unterschiedlichen Mitteln. So verwendet er unterschiedliche Blitzlichter, die unerklärliche Lichtphänomene auf dem Bild erscheinen lassen oder er lässt es hinter Rauchschwaden verschwimmen oder bezieht die Staubkörner flächendeckend mit ein. Auch Störmomente aus dem Akt der technischen Reproduktion selbst wie die Moiré-Effekte setzt er bildwirksam ein.

In Konsequenz dieser beiden Arbeitsprinzipien, von Reproduktion und produktiver Gestaltung, entziehen sich die Sujets, um als etwas anderes zu erscheinen. Diese Dialektik von Verhüllen und Erscheinen ist, wie der Philosoph Gernot Böhme vermerkt, typisch für eine romantische Ästhetik, die sich damit stärker an die Einbildungskraft des Betrachters richtet.

Und Einbildungskraft ist vielleicht besonders nötig, wenn alle Reisen und die damit verbundenen Sehnsüchte auf immer schon Bekanntes treffen. Stefan Krauth weiß darum und er lässt die Mythen weiterleben: die Träume von Freiheit, von unberührter Natur und von häuslicher Idylle, die sich letztlich gegenseitig ausschließen. Seine Bildtitel umkreisen diese Paradoxien und wie mit den Mehrfachbelichtungen spielt Krauth hier mit Mehrfachbedeutungen oder latenten Bedeutungsverschiebungen. Das Bild des kreisenden Adlers in „Spähender Vogel“ suggeriert die besagte Freiheit, jedoch in einer seinerseits von Satelliten observierten Welt. In dem Foto darunter, mit dem Titel „Am dritten Morgen“, wirken die Vögel vor dem Fenster durch den Spalt der Gardine betrachtet eher bedrohlich, aber ebenso die gelbe Gardine in ihrer pedantischen Fältelung.

Ähnliche Ambivalenzen tun sich zwischen den Bildern „Das Haus am Meer“ und „Rückkehr zur alten Hütte“ auf, das eine hell, gepflegt, mit freundlicher roter Eingangstür, das andere dunkel und verloren in der unbestimmten Weite. Politisch aufgeladen gibt sich sein Selbstporträt „In Afghanistan“ – der Künstler steht lässig mit geöffnetem Hemd vor dem Panorama imposanter Berge, dieses Bild stimmt jedoch nicht mit unserem medial vermittelten Wissen über den Schauplatz kriegerischer Auseinandersetzungen überein.

Krauths Bilder erzeugen Stimmungen und arbeiten mit Atmosphären, die oft eine Nähe zum Filmischen haben. Mit ihrer Doppelbödigkeit stellen sie unsere Erwartungen in Frage und nähren sie zugleich mit neuen Angeboten. Dem Betrachter bleibt es überlassen, ob er sich mehr den Versprechungen oder mehr den Zweifeln hingibt.

dr. Jule Reuter

 

Verschmutzte Bildschirme / Dirty Screens. Zur Praxis der Fotografie bei Stefan Krauth

Die Unschärfe als künstlerisches Mittel der Entrückung und Verzückung ist schon sehr alt. Bereits Leonardo verwendete solche Weichzeichnereffekte, um seinen Frauenbildnissen einen Schmelz zu verleihen, der sie geheimnisvoll erscheinen ließ. Das so genannte Sfumato schafft eine Einheit des Raumes, die ganz unmittelbar wirkt, obwohl sie doch eigentlich durch Unschärfe hervorgerufen wird. Der Kameramann William Daniels gab der Schönheit Greta Garbos in den zwanziger Jahren eine eigene zart verwischte Präsenz, indem er schlicht Gaze vor die Kameralinse spannte. Auch hier wirkt ein Mittel der Distanz als Medium der Nähe. Der Blick ist verschleiert, als wären die Brillengläser angelaufen vom erregten Atem des Begehrenden. Daniels lenkt den Blick auf die Hollywooddiva, indem er das Bild zu den Rändern hin verschattet und so in einer Art Tunnelblick keine andere Aufmerksamkeit zulässt als diejenige, welche sich dem Zauber der Garbo widmen darf. Stefan Krauth rückt seine Motive in eine vergleichbare Distanz, die in ihrer Entfernung eine emotionale Nähe herstellt. Sie wirkt psychologisch. Das unscharfe Bildmotiv verliert seinen konkreten Gegenstandsbezug. Es ist nicht mehr Abbildung dieses einen bestimmten Ortes oder einer bestimmten Person. Das Bild bekommt in seiner Entrücktheit emblematische Züge und wird überhöht wie eine Filmikone. Es wird zur Darstellung eines emotionalen Grundzustandes, einer bestimmten Form der Befindlichkeit. Verschmelzung wirkt hier nicht nur bildnerisch als Unschärfe, sondern auch emotional, indem Grenzen verschwimmen und emotional eine Einheit zwischen Betrachter und Betrachtetem hergestellt wird. Die Farben erscheinen kräftiger, Helligkeiten heben Bildzonen hervor oder werden zu einer phantastischen Aura, die Sonnenuntergänge oder Mondlicht imitiert, kleine weiße Flecken treiben wie Schneeflocken über das Bild, Sternenstaub oder Spuren von Abnutzung.

Stefan Kauth findet seine Motive auf Reisen. Aus der großen Zahl der dabei entstehenden Aufnahmen werden einige wenige ausgewählt und weiterer Bearbeitung unterzogen. Die bloße Fülle der dabei angehäuften Fotos ist auch Ausdruck der Unbedarftheit, mit der angesichts der Konsequenzlosigkeit digitaler Fotografie heute die Kamera auf jedes denkbare oder zufällige Motiv gerichtet wird. Ihre Bedeutung beschränkt sich dabei oft lediglich auf eine augenblickshafte Rückbesinnung. Durch die Möglichkeit der Aufzeichnung wird das Motiv als blickwürdig erfahren: Das derart festgehaltene Bild wird gleich auf dem Display angeschaut. Dann verschwindet es in diversen Speicherkapazitäten für immer, befriedigt vielleicht noch einmal das Ordnungsbedürfnis seines Besitzers, wenn es in entsprechenden Dateiordnern abgelegt wird. Die spätere Verfügbarkeit bleibt eine Option, die bei uns Pauschalfotografen so gut wie nie zum Bedarfsfall wird. Krauth folgt in seinen Reisen einer Sehnsucht, die ihn zu prototypischen Orten der Reiselust führt, so nach Vietnam als Beispiel des Exotischen oder in den amerikanischen Westen mit seinen Mythen. Das Verlangen nach diesen Orten wird jedoch nicht nur de facto durch Reisen ausgelebt, sondern ereignet sich auch in der Art, wie Krauth aus seinen Fotomotiven diese Sehnsüchte herausarbeitet. So kann ein verzauberter Ort aus einer ganz prosaischen Ansicht einer Industrieanlage entstehen.

Die Art des Umgangs, die er seinen Aufnahmen aufbürdet, ist nicht gerade zimperlich. Bilddateien werden mehrfach vom Bildschirm abfotografiert. Dabei treten bei jeder neuen Aufnahme Beeinträchtigungen zwischen das Motiv und die Kameralinse: Lichtreflexe auf der Bildschirmoberfläche durch einfallendes Tageslicht oder gezielt platzierte Lampen sowie Staubablagerungen oder auch Zigarettenrauch. Sie entfernen das Motiv jedes Mal ein Stück weiter vom ursprünglichen Blick, der jedoch hartnäckig bis zum »letzten«, dem ausgestellten Bild durchscheint. Nach klassischer Vorstellung würde jeder der genannten Effekte eine Herabwürdigung des Bildes bedeuten. Wer möchte seine Urlaubsfotos schon auf einem staubverschmutzten, alten Monitor ansehen, der nicht nur manchmal so schlecht abgewischt ist, dass sich Schlieren von Dreck auf der Oberfläche abzeichnen, sondern zudem auch zu den Rändern in der Lichtintensität abnimmt? Wenn man genau hinsieht, wird man diese Spuren in Krauths Bildern erkennen. Auch die Bildpunkte des Screens sind gut sichtbar. Die Oberfläche der ausgestellten Arbeiten ist allerdings so glatt, wie man das von Fotografien gewohnt ist. Alle Spuren, die als Beschädigung des Blicks auf das Motiv gelten können, ereignen sich im Foto. Wie das Motiv selbst ist seine Bearbeitung ein Vergangenes, das in der Perfektion des Abzuges aufgehoben ist. Es erhält in dieser Umformung seine eigene Geschichte, die jedoch mit dem ausgestellten Abzug einen vorläufigen Abschluss gefunden hat. Die Bedingungen des schlechten Bildschirms, Staub, Licht und Rauch werden von Krauth in gewisser Weise wie die von Softwareentwicklern bereitgestellten computergrafischen Tools verwendet. Allerdings unterscheiden sie sich in wesentlichen Punkten davon. Sie ereignen sich nicht auf digitaler Ebene, sondern besitzen eine eigene physische Präsenz.

Dass Staub geradezu ein plastisches Material ist, wusste auch Marcel Duchamp. Sein eigenes Werk »Das große Glas« war ihm aus dem Blick geraten und im Atelier schlicht verstaubt. So sieht es sein Kollege Man Ray und fotografiert die derart vernachlässigte »Ikone der Kunstgeschichte« 1920 mit den darauf tanzenden Staubflocken. Unter dem Titel »Elevage de poussière« (Staubaufzucht) eignet sich Duchamp diese Fotografie als eigene Arbeit an. Das Zusammenspiel der reliefartigen Zeichnung, der dünnen Staubschicht und der zufällig darauf verteilten Staubflocken, das an sich keinen Autor hat, findet ihn in seinem Betrachter. Der daran haftende Blick des Künstlers, der es dokumentarisch in der Fotografie festhält und ihm durch einen Titel eine neue Bedeutung verleiht, macht es zum Werk.

Auch Krauth setzt auf Aspekte des Zufalls, nicht endgültig zu steuernde Faktoren des Staubniederschlags, seiner jeweiligen Körnung oder auch der farblichen Abstufungen des Tageslichts und seines unterschiedlichen Einfalls auf den Bildschirm. Erfahrungen im Einsatz dieser Mittel führen jedoch dazu, die Eigengesetzlichkeit der »bildnerischen Materialien« bis zu einem gewissen Grad zu beherrschen. Die Entscheidung darüber, ob eine Form der Bearbeitung sich als gelungen im Sinne der Bilderzählung erweist, trifft Krauth wiederum am Monitor, wenn das Bild als würdig für den Ausdruck erachtet wird. Dann erfolgt eine Aneignung durch Benennung. Krauths Bilder weisen poetische Titel auf, die nicht selten auf große Mythen deuten: »Die verschwundene Stadt«, »Grab eines berühmten Seeräubers« oder »Die Insel«. Mit ihnen schließt der Künstler den Zugriff auf das Motiv. Es ist ganz Bild geworden und feiert seinen eigenen Mythos. Geht man von einer Art abstrakter Eigenständigkeit des Motivs vor jeder Betrachtung, vor jedem Zugriff darauf und jeglicher inhaltlichen Aufladung aus, so bedeutet jede Überlagerung des Bildes mit den Bedürfnissen seines Betrachters in gewisser Weise eine Form der Beschmutzung, die das Bild verdreckt und verdeckt. Im umgekehrten Zug enthüllt es damit zugleich seine emotionale Potenz. Das Bild ist da, um die Sehnsüchte seines Betrachters zu erfüllen, diese Abhängigkeit überhöht und degradiert es zugleich. Es wird zu einem Spiegel der Seele, der es ermöglicht, unter seine Oberfläche zu tauchen und sich dort verschmolzen mit dem Bild selbst zu finden. Stefan Krauth reißt so eine extreme Spannbreite auf, seine bildnerischen Mittel betonen die Oberfläche der Fotografie und schaffen so Bilder, die vor allem die Gefühlslagen ihrer Betrachter ansprechen. 
© Dr. Holger Birkholz

On the Practice of Photography in the Work of Stefan Krauth

Blurriness as an artistic means to achieve ecstasy and rapture has a long tradition. Leonardo was already using such soft-focus effects to give his portraits of women a luster that makes them seem mysterious. So-called sfumato creates a unity of space that seems very immediate, even though it is actually achieved through blurriness.

In the 1920s the cameraman William Daniels lent Greta Garbo’s beauty its unique, delicately hazy presence simply by stretching gauze over the lens of the camera. Here again a means of creating distance seems like a medium of proximity.

The gaze is veiled, as if one’s glasses were fogged by the excited breathing of the desirous male. Daniels directed the gaze at the Hollywood diva by shading her image toward the edges and thus producing a kind of tunnel vision that permits no attention other than that devoted to Garbo’s magic.

Stefan Krauth pushes his motifs away into a comparable distance whose remoteness produces an emotional proximity. It has a psychological effect. The blurry motif loses its concrete reference to an object. It is no longer a depiction of a specific place or a specific person.With this rapture, the imagine takes on emblematic features and is put on a pedestal like a film icon. It becomes a depiction of a basic emotional state, a certain state of mind. Blending functions here not just visually as blurriness but also emotionally, as dividing lines blur and produce an emotional unity between the observer and the observed. The colors seem more powerful; bright areas causes zones to stand out or become a fantastic aura that imitates sunsets or moonlight; small, white blots sweep across the image like snowflakes, stardust, or traces of wear.

Stefan Krauth finds his motifs on his travels. From the large numbers of photographs he takes, just a few are selected and put through further processing. The sheer abundance of the accumulated photographs is also an expression of the naivety

with which the camera is pointed at every conceivable or random motif today, in the face of the arbitrariness of digital photography. Their significance is thus often limited only to a momentary recollection. The motif is experienced as worthy of a glance simply because it is possible to record it; the image thus record is immediately examined on the display. Then it disappears forever in diverse storage capacities, perhaps one day satisfying its owner’s need for order when it is placed in the appropriate folder. Its later availability remains an option that almost never becomes a must for us wholesale photographers. On his journeys Krauth pursues a desire that leads him to the prototypical sites of wanderlust, such as Vietnam as an example of the exotic or the American West with its myths. The desire for these places is not only lived out de facto by traveling but also takes place in the way Krauth works out these desires from the motifs of his photographs. For example, a very prosaic view of an industrial site can become a magical place.

The approach with which he burdens his images is not exactly gentle. Image files are photographed fromthe screenmultiple times.With each new photograph, interference between the motif and the camera lens emerges: reflections of light caused by daylight falling on the surface of the screen or by deliberately placed lamps as well as deposits of dust or even cigarette smoke. Each time they take the motif a little further from the original gaze, which nevertheless shines through stubbornly until the »end« – the exhibited image.

In the classical idea, each of the effects mentioned here would signify a degradation of the image. Who would like to see his or her vacation photographs on an old dusty monitor, which is not only sometimes dusted so badly that the streaks of dirt stand out on the surface but also decreases in light intensity as it moves toward the edges? If you look carefully, you will recognize these traces in Krauth’s photographs. Even the dots of the screen are clearly visible.

The surfaces of the works exhibited are, however, as smooth as one expects from photographs. All the traces that that could be thought to harm the gaze at the motif happen in the photograph. Like the motif itself, its processing is something past sublated in the perfection of the print. In this re-formation it obtains its story, which has, however, found a provisional conclusion in the exhibited print.

The conditions of the poor screen, dust, light, and space are, in a sense, used by Krauth like the computer graphics tools provided by software developers. They also differ in essential points. They do not occur on the digital level but rather possess their own physical presence.

The fact that dust is virtually a sculpturalmaterial was known toMarcel Duchamp as well. He had lost sight of his own Large Glass, so it was simply gathering dust in his studio. His colleagueMan Ray spotted it and photographed this neglected »icon

of art history« in 1920 with dust bunnies dancing on it. Under the title Élevage de poussière (Dust breeding), Duchamp appropriated this photograph as his own work. The interplay of relieflike drawing, a thin layer of dust, and the fluffs of dust randomly distributed on it has no author but finds one in its viewer. The artist’s gaze clinging to it is documented in the photograph and a title lends it a new meaning, making it into a work.

Krauth too employs aspects of chance, factors that cannot be completely controlled such as the precipitation of dust, ist granularity, or even the gradations of color in daylight and differences in the way it falls on the screen. Experiences with using such means lead to a certain mastery of the inherent laws of »artistic materials«. Krauth makes the decision whether a form of processing proves to be successful in the sense of the visual narrative on the screen when considering whether the image is considered worthy of printing.

That is followed by appropriation through naming. Krauth’s photographs have poetic titles, which not infrequently suggest great myths: The Vanished City, Grave of a Famous Pirate or The Island. With them the closes off access to the motif. It has

become all image and celebrates its own myth.

If we assume themotif has a kind of abstract autonomy in the face of every observation, of every access to it, and of every meaning with which it can be charged, than the superimposition of the image with the needs of its viewer is in a sense of form of dirtying that defiles and obscures the image. Conversely, at the same time it reveals its emotional potency.

The image is there to fulfill the desires of its viewer; this dependency both elevates and degrades it. It becomes a mirror of the soul that makes it possible to diver under its surface and find oneself there, merged with the image. Stefan Krauth thus opens up an extreme range; his artistic means emphasize the surface of photography and in the process create images that primarily speak to the emotional states of their viewers.

Dr. Holger Birkholz (2012)

 

 

 

 

Das Medium der Fotografie vertrat im ausgehenden 19. Jahrhundert den Anspruch, ein reales Abbild der Realität zu sein. Alsbald wurde die Fotografie unerlässlich zur Dokumentation, denn sie erschien als eine glaubwürdige Referenz der realen Welt. Seitdem wirkten bebilderte Zeitungsberichte authentischer und nicht nur die wissenschaftliche Analytik konnte sich auf eine neue Quelle stützen. Man glaubte, was man sah, und der common sense unterstellte der Fotografie, nicht lügen zu können. Allerdings konnte dieses Weltbild schon durch die Piktorialisten (zum Beispiel Edward Steichen) gekippt werden. Es wurde in den Herstellungsprozess eingegriffen, um einen Zusammenhang zur künstlerischen Ausdruckskraft herstellen zu können. Seitdem ist die Fotografie Teil einer multimedialen Bildwelt geworden, deren Bestandteile sich nunmehr im digitalen Raum aufzulösen scheinen und von da aus wieder zusammengesetzt und angeeignet werden können. Zusätzlich werden Manipulationen an dem Fotomaterial vorgenommen, um die Alltagswirklichkeit zu nivellieren.

Stefan Krauth versucht dieser Bildwelt zu entfliehen, indem er der so suggerierten Realität eine ganz eigene Wirklichkeit entgegensetzt. Dabei durchleben die von ihm gemachten Aufnahmen ohne Manipulation den digitalen Zersetzungsprozess, um dann von der Matrix des Bildschirmes (ab-)fotografiert zu werden. Die so geschaffene Distanz zwischen der wiedergegebenen Fotografie, dem Künstler und seiner Kamera schafft Raum für Inszenierungen. Durch diesen Eingriff erfolgt eine Metamorphose von dem eigentlichen Referenzbild über eine Zwischenebene zu einer autonomen Behauptung.

Stefan Krauths Reproduktionen werden dabei zu einer surrealen Reise, die eine Bandbreite an Stimmungen ermöglicht, aber nicht vollständig an existente Orte zurückführt. Gleißende und seltsame Irrlichter wirken wie überzogene Inszenierungen in Filmen von David Lynch. Undurchschaubare Lichtsituationen und Überlagerungen schüren Unsicherheiten in der Wahrnehmung und wirken wie auf Leinwand gebannte Filmstills. Unheimlicher Nebel umgibt Höfe und Gewässer und legt sich wie ein Schleier auf die Empfindungen des Betrachters. Anhaltspunkte zur Verortung der Bilder werden durch den Künstler ausgeblendet, so dass wertfreie Assoziationen entstehen können.

Die Fotografien Stefan Krauths weisen den dokumentarischen Aspekt weit von sich und laden ein zu einer Suche nach der Realität.

Stefan Franck